Artikel 29bis des Gesetzes vom 21.11.1989 erlaubt allen schwachen Verkehrsteilnehmern und ihren Rechtsnachfolgern, als Opfer eines Verkehrsunfalls für Körperschäden und im Todesfall, unabhängig von der Schuldfrage, ihre Schadenersatzansprüche nach dem Allgemeinrecht bei jeder Haftpflichtversicherung aller unfallbeteiligten Fahrzeuge geltend zu machen.
Die sogenannten „schwachen Verkehrsteilnehmer“ sind demnach nicht mehr verpflichtet, die Schuld eines am Unfall beteiligten Fahrers nachzuweisen, um von dessen Haftpflichtversicherung ihre Schadenersatzansprüche zu erhalten.
Folgende Bedingungen müssen erfüllt werden, damit der schwache Verkehrsteilnehmer seinen Schadenersatzanspruch geltend machen kann:
- Die Eigenschaft des schwachen Verkehrsteilnehmers:
Es handelt sich um eine sehr weitgehende Begriffsbestimmung, die u. a. die Fußgänger, die Fahrradfahrer, die Reiter, aber auch alle Insassen der Unfallfahrzeuge beinhaltet, mit Ausnahme der Fahrer der Unfallfahrzeuge sowie der Rechtsnachfolger des tödlich verunglückten Fahrers.
Die Personen, die älter als 14 Jahre sind und die den Unfall sowie die Unfallfolgen bewusst verursacht haben, verlieren jeglichen Anspruch auf eine Entschädigung als schwacher Verkehrsteilnehmer. Alle anderen schwachen Verkehrsteilnehmer behalten ihren Schadenersatzanspruch, selbst wenn sie für den eigenen Schaden selbst verantwortlich sind, unter der Voraussetzung, dass sie den Unfall nicht bewusst verursacht haben.[1]
- Der Verkehrsunfall:
Der schwache Verkehrsteilnehmer muss seinen Schaden anlässlich eines Verkehrsunfalls erlitten haben.
Die Gesetzgebung sieht demnach vor, dass mindestens ein Fahrzeug im Unfall verwickelt gewesen sein muss, selbst wenn der Fahrer dieses Fahrzeuges nicht für den Unfall verantwortlich ist.
- Der zu ersetzende Schaden:
Der schwache Verkehrsteilnehmer hat Anrecht, seine Ersatzansprüche für jeden erlittenen Schaden zu stellen, mit Ausnahme des materiellen Schadens. d.h. er kann in Bezug auf den Körperschaden sowohl den moralischen Schaden und das Schmerzensgeld fordern, als auch den Einkommensverlust und alle sonstigen Schadenersatzansprüche, wie z. B. Freizeitschaden, Haushaltsschaden, sexueller Schaden etc..
- Die zahlungspflichtigen Versicherungsgesellschaften:
Alle Haftpflichtversicherungen der Fahrzeuge, die in dem Unfall verwickelt sind haben die Verpflichtung, auf Anfrage eines schwachen Verkehrsteilnehmers die entsprechenden Schadenersatzansprüche zu leisten, unabhängig davon ob nunmehr der von ihnen versicherte Fahrer für den Unfall verantwortlich ist oder nicht.
- Der Ort des Unfalls:
Damit der schwache Verkehrsteilnehmer seine Schadenersatzansprüche geltend machen kann, muss der Unfall entweder auf einer öffentlichen Straße oder auf einem öffentlichen Gelände geschehen oder auf einem nicht öffentlichen Gelände, welches jedoch einer gewissen Anzahl Personen den Zugang ermöglicht, wie z. B. eine Baustelle oder ein Parkplatz eines Kaufhauses.
Falls der Unfall sich nicht in BELGIEN, sondern im Ausland, z. B. in DEUTSCHLAND, ereignet, kommt die Internationale Vereinbarung von DEN HAAG vom 04.05.1971 zur Anwendung.
Bei einem Unfall in DEUTSCHLAND zwischen einem belgischen Fahrzeug und einem deutschen Fahrzeug kann der belgische Verkehrsteilnehmer nicht in BELGIEN die Gesetzgebung des schwachen Verkehrsteilnehmers beanspruchen, da aufgrund der lex loci das Gesetz des Unfallortes, d. h. das deutsche Gesetz, zur Anwendung kommt.
Wenn es sich um einen Unfall handelt, in dem ausschließlich belgische Fahrzeuge verwickelt sind, so können die geschädigten Personen in BELGIEN ihre Forderung gem. der Gesetzgebung des schwachen Verkehrsteilnehmers geltend machen.
Autor: Ralph LENTZ
[1] Kass., 28.04.2006, For. Ass., 2006, Nr. 6
Veröffentlichungen des gleichen Autors in
DAR, August 2003, S. 347: „Straßenverkehrsangelegenheiten in BELGIEN“
SVR 8/2008, S. 317: „Die Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltshonorare in BELGIEN“
DAR, Oktober 2009, S. 606: „Personenschadenersatz in BELGIEN“
DAR 5/2015, S. 248, S.248: „Unfallschadensrecht in Belgien“
SVR, 2005, S. 201: „Das belgische Schadenersatzrecht bei Verkehrsunfällen“